„Du kleines Püppchen!“

Das muss man mal sagen dür­fen: Parteien haben ein Prob­lem mit Sex­is­mus. Wenn sie glaub­würdig sein will, muss auch DIE LINKE gegen tox­is­che Männlichkeit vorge­hen.
Von Uta Gen­sichen, Anja Eich­horn und Sarah Bud­de­berg

„Lächel doch mal“, habe der Parteikol­lege oft vor anderen zu ihr gesagt. Doch nach Lächeln ist der Genossin nicht zumute, wenn sie an die Kom­mentare zu ihrem Gewicht und ihrer Klei­dung denkt. Wenn sie sich daran erin­nert, dass der um viele Jahre ältere Mann ihr eine Zeit lang unzäh­lige Chat- Nachricht­en mit sex­uellen Anspielun­gen geschickt hat. Und wenn sie sich erin­nert, wie abw­er­tend und dom­i­nant er sich ihr gegenüber oft ver­hielt. „Ich habe trotz­dem nie daran gedacht, aus der LINKEN auszutreten. Dafür ist mir das Poli­tis­che zu wichtig“, sagt die säch­sis­che Kom­mu­nalpoli­tik­erin.

Die Begeben­heit ist lei­der kein Einzelfall. Als Frau im Poli­tik­be­trieb tätig zu sein – ob haupt- oder ehre­namtlich – ist oft kein Spaß. Und das anscheinend unab­hängig vom Parteibuch: Anfang 2018 befragte das Por­tal Huff­Post Poli­tik­erin­nen aus Jugen­dor­gan­i­sa­tio­nen ver­schieden­er Parteien, was sie auf Sitzun­gen und mit männlichen Parteikol­le­gen erleben. Und ob nun Mit­glied bei der Jun­gen Union, den Jusos oder der Linksju­gend – die Erfahrun­gen ähneln sich: Jede dritte Frau wurde im Rah­men ihrer poli­tis­chen Arbeit bere­its sex­uell belästigt. Wiederum 43 Prozent erzählten, dass sie sex­uelle Beläs­ti­gung bei anderen beobachtet hät­ten. Viele der befragten Poli­tik­erin­nen fühlten sich zudem nicht ernst genom­men. Kein Wun­der, hat­ten die meis­ten bere­its erlebt, in Diskus­sio­nen unter­brochen oder über­gan­gen zu wer­den. Dieses Ver­hal­ten hört selb­st dann nicht auf, wenn die Frauen bere­its Bun­destagsab­ge­ord­nete sind. So ver­ri­et die flüchtlingspoli­tis­che Sprecherin der Grü­nen im Bun­destag, Luise Amts­berg, 2019 in einem Inter­view: „Manch­mal wurde dann so eine großväter­liche Art aus­gepackt, wenn mein Gegenüber argu­men­ta­tiv und inhaltlich nicht mehr weit­er kam“. Auch von „anzüglichen Bemerkun­gen und unpassenden Kom­pli­menten“ berichtet sie.

Auf das Ausse­hen reduziert

Aber Sex­is­mus in der LINKEN? Wir haben doch einen fem­i­nis­tis­chen Auf­trag, wir gen­dern unsere Anträge und Broschüren, haben quotierte Lis­ten sowie weib­liche Partei- und Frak­tionsvor­sitzende. Wo liegt also das Prob­lem? „Ich erlebe es immer wieder, dass Frauen in den Vor­standssitzun­gen auf ihr Ausse­hen reduziert wer­den, ihnen ständig ins Wort gefall­en wird oder ihre Vorschläge weniger ernst genom­men wer­den“, erzählt eine engagierte Genossin. Oft frage sie sich, ob sie und die anderen Mit­glieder ihres Gremi­ums eigentlich in der gle­ichen Partei seien. Eine andere Genossin, die seit über 20 Jahren in der Partei aktiv ist, erzählt über einen früheren hochrangi­gen Parteikol­le­gen: „Als ich noch jünger war, sagt er zu mir ‚Du kleines Püp­pchen, du hast doch noch nichts geleis­tet. Ich sage dir jet­zt mal, wo der Hase lan­gläuft.‘“ Zu ein­er anderen Genossin habe der­selbe während ein­er Sitzung laut gesagt: „Du bist eine Frau, du kannst nichts anderes als Kaf­fee kochen.“ Lange vor­bei und vergessen? Keineswegs. Es gibt nicht wenige aktive Kom­mu­nalpoli­tik­er, die Gren­zen über­schre­it­en. „Der eine ist über­he­blich zu Frauen und der andere stre­ichelt einem auch schon mal übers Knie“, erzählt die Genossin weit­er. Was auf­falle: Es sind vor allem ältere Män­ner, die in der Partei­hier­ar­chie weit­er oben ste­hen, die sich so über­grif­fig ver­hal­ten. Eine schmer­zliche Ein­sicht: DIE LINKE ist nicht über­all ein geschützter Ort für Frauen, Homo­sex­uelle, Trans*- und Inter-Per­so­n­en. Und auch nicht für het­ere­o­sex­uelle Män­ner. Denn tox­is­che Männlichkeit richtet sich auch gegen das eigene Geschlecht, wenn andere Lebensweisen patri­ar­chal auftre­tenden Genossen nicht passen.

Die Hand auf dem Knie

An wen sollen sich Genoss*innen wen­den, wenn sie solche Erfahrun­gen machen? Wer hört zu, wenn ein früher­er Bun­destagsab­ge­ord­neter Dir auf den Po haut? Wenn ein Kom­mu­nalpoli­tik­er Dir vor anderen ins Gesicht sagt, wie dick du bist und deshalb nicht sein Typ seist? Und ein altge­di­en­ter Genosse in ein­er Män­nerrunde eine junge Frau als „macht­geile Schlampe“ beze­ich­net, weil sie einen Job in der Partei annimmt? Das sind lei­der keine fik­tiv­en Beispiele, son­dern Fälle, die genau so im Lan­desver­band passiert sind. Die wenig­sten Genoss*innen trauen sich, über solche Vor­fälle offen zu reden. Weil eine offizielle Anlauf­stelle bis­lang fehlt, tauschen sich die Betrof­fe­nen allen­falls mit weni­gen Ver­traut­en darüber aus. Über den Klaps auf den Po, die Hand auf dem Knie, die anzüglichen Nachricht­en auf dem Handy, die Bemerkun­gen über das eigene Ausse­hen, die unge­fragten Kom­pli­mente und die Frage nach dem Beziehungssta­tus. „Es ist schlimm, dass man bei uns im Kreisver­band immer alles unkom­men­tiert geschehen lässt; es wird ein­fach so hin­genom­men“, erzählt eine junge Genossin, die in ihrem Ver­band schon viele sex­is­tis­che Anfein­dun­gen erlebt und von ihnen gehört hat. In einem anderen Ver­band in Sach­sen wurde selb­st der aktive Hil­fer­uf ein­er jun­gen Frau tot­geschwiegen: Ein Genosse stalk­te diese monate­lang, lauerte ihr auf und bom­bardierte sie mit Nachricht­en. Sie bat den Vor­sitz des Stadtver­bands um Hil­fe. Statt einzu­greifen, wurde die verängstigte Frau ermah­nt, damit nicht an die Öffentlichkeit zu gehen – schließlich könne das Image der Partei darunter lei­den.

Solche Vor­fälle gehen meist ein­her mit anderen struk­turellen Defiziten. Zwar ist das Selb­stver­ständ­nis der LINKEN fem­i­nis­tisch, aber ein Blick auf die Mit­glieder­struk­tur zeigt ein ern­sthaftes Prob­lem. Seit vie­len Jahren geht der Frauenan­teil in der LINKEN leicht, aber unaufhalt­sam zurück. Laut Bun­deszen­trale für poli­tis­che Bil­dung betrug der Anteil weib­lich­er Mit­glieder 2019 36,4 Prozent, unter den im sel­ben Jahr einge­trete­nen Neu­mit­gliedern lag der Frauenan­teil gar unter 35 Prozent. Die Folge dieses Ungle­ichgewichts: Junge Frauen, die neu in DIE LINKE kom­men, wer­den mit Posten und Ver­ant­wor­tung über­häuft – bis sie nicht mehr kön­nen.

Dom­i­nanz älter­er Män­ner

Doch warum zögern immer häu­figer Frauen, in Parteien einzutreten und sich in ihnen zu engagieren? Etwa die stun­den­lan­gen Parteisitzun­gen und die fam­i­lienun­fre­undlichen Zeit­en schreck­en viele ab. „Die Dom­i­nanz älter­er Män­ner sowie die häu­fige Befas­sung der Parteien mit sich selb­st sind weit­ere Fak­toren, die neg­a­tiv ins Gewicht fall­en“, schreibt der Poli­tik­wis­senschaftler Ben­jamin Höhne von der Stiftung Wis­senschaft und Demokratie in einem Auf­satz über Frauen in Parteien und Par­la­menten. Höhne rät Parteien, ihre Arbeit ins­ge­samt zu mod­ernisieren, um für Neu­mit­glieder attrak­tiv­er zu wer­den.

Sex­is­mus in der eige­nen Partei anzus­prechen, ist nicht leicht. Schnell wird einem Nest­beschmutzung vorge­wor­fen. Doch das Gegen­teil ist der Fall. Sex­is­tis­che Struk­turen offen­zule­gen, passiert nicht allein aus Sorge um die Partei. Wir wollen den Kampf gegen Sex­is­mus ernst nehmen – auch in den eige­nen Rei­hen. Wir verän­dern Gesellschaft nur, wenn wir bei uns selb­st anfan­gen.

Deshalb ste­ht auf dem Lan­desparteitag am 10. Okto­ber 2020 ein Antrag mit zwei Forderun­gen auf der Tage­sor­d­nung: eine Richtlin­ie gegen Sex­is­mus zu erar­beit­en sowie eine Ver­trauensper­son zu benen­nen, an die sich Betrof­fene von sex­u­al­isiert­er Beläs­ti­gung inner­halb der Partei wen­den kön­nen. Diese Forderun­gen sind ein Eingeständ­nis, dass es in großen Organ­i­sa­tio­nen wie Parteien Sex­is­mus gibt. Zu sagen, was ist, bleibt die rev­o­lu­tionärste Tat, wusste schon Rosa Lux­em­burg. Denn DIE LINKE schreibt sich Fem­i­nis­mus und Sol­i­dar­ität auf die Fah­nen – dann müssen wir aber auch kon­se­quent sein und über­grif­figes Ver­hal­ten inner­halb der eige­nen Rei­hen sank­tion­ieren und diesem vor­beu­gen.

In Bre­men ist man da schon weit­er: Dort wurde im Novem­ber 2019 ein Antrag zur Stärkung anti-sex­is­tis­ch­er Kul­tur in der Partei angenom­men. Unter anderem forderten die Antragsteller*innen eine Anlauf­stelle für Betrof­fene von Sex­is­mus sowie eine verän­derte Lan­dessatzung.

Die Autor*innen haben mehrere per­sön­liche und schriftliche Inter­views mit Genoss*innen aus dem gesamten säch­sis­chen Lan­desver­band geführt. Alle Angaben zur Per­son sowie zum Kreis- oder Stadtver­band wer­den, zum Schutz der befragten Per­so­n­en, anonymisiert wiedergegeben.